Donnerstagnachmittag, 16 Uhr, Jugendinformationszentrum München. Tim (19) sitzt nervös im Wartebereich und starrt auf sein Handy. Eigentlich sollte er jetzt in der Berufsschule sein, aber die Mahnungen stapeln sich auf seinem Schreibtisch zu Hause und heute hat er endlich den Mut gefasst, zur Jugendschuldnerberatung zu gehen. Was als "nur ein Handyvertrag" begann, ist mittlerweile zu einem Berg von 3.500 Euro angewachsen. Wie konnte das nur passieren?
Tims Geschichte ist kein Einzelfall. Sie steht exemplarisch für eine Herausforderung, die in der klassischen Schuldnerberatung oft zu wenig Aufmerksamkeit erhält: Junge Menschen brauchen andere Beratungsansätze als Erwachsene, nicht nur wegen ihrer besonderen Lebenssituation, sondern auch wegen ihrer grundlegend anderen Schuldenstrukturen und Lösungswege.
Die unterschätzte Realität: Jugendliche in der Schuldenfalle
Verschuldung bei jungen Menschen ist längst kein Randphänomen mehr. Laut der Jugendstudie 2018 des Bundesverbandes deutscher Banken hat sich bereits jede*r vierte Jugendliche schon einmal verschuldet: Das entspricht einem Anteil von 26 Prozent. Eine Zahl, die nachdenklich stimmt, insbesondere wenn man bedenkt, dass knapp zwei Drittel (64,9 %) der unter 25-Jährigen, die im Jahr 2018 eine Schuldnerberatungsstelle aufsuchten, offene Verbindlichkeiten bei Telekommunikationsunternehmen aufwiesen.
Die Dimensionen sind dabei oft kleiner als bei älteren Schuldnern, aber nicht minder problematisch: Bei den unter 25-Jährigen betrugen die durchschnittlichen Verbindlichkeiten rund 11.269 Euro, ein Betrag, der für einen Auszubildenden oder Studierenden existenzbedrohend sein kann. Die Höhe der Verschuldung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen liegt im Durchschnitt bei 2.500 bis 5.000 Euro, wobei es auch Fälle gibt, in denen die Summen deutlich höher liegen.
Warum klassische Schuldnerberatung bei Jugendlichen oft zu kurz greift
Herkömmliche Schuldnerberatungsstellen sind auf die Bedürfnisse erwachsener Haushalte ausgerichtet. Doch junge Menschen befinden sich in einer besonderen Lebenssituation:
Sie stehen vor grundlegend anderen Herausforderungen: Der erste Auszug von zu Hause, der Start ins Berufsleben oder ins Studium, erste Beziehungen und die Entwicklung einer eigenen Identität – all das passiert gleichzeitig mit der Notwendigkeit, finanzielle Verantwortung zu übernehmen.
Ihre Schuldenstrukturen unterscheiden sich erheblich: Für rund jede vierte Person der unter 25-Jährigen, die im Jahr 2018 eine Schuldnerberatungsstelle aufsuchten, war der Hauptauslöser der Überschuldungssituation eine unwirtschaftliche Haushaltsführung. Anders als bei älteren Schuldnern stehen weniger Lebenskrisen wie Arbeitslosigkeit oder Krankheit im Vordergrund, sondern mangelnde Erfahrung im Umgang mit Geld und Verträgen.
Sie nutzen andere Kommunikationskanäle: Während ältere Ratsuchende oft den direkten persönlichen Kontakt suchen, sind junge Menschen eher bereit, digitale Beratungsangebote zu nutzen – vorausgesetzt, diese sind niedrigschwellig und an ihre Lebenswelt angepasst.
Spezielle Jugendschuldnerberatung: Mehr als nur ein anderer Name
Innovative Beratungsstellen haben erkannt, dass junge Menschen einen eigenständigen Beratungsansatz benötigen. Die Jugendschuldnerberatung ist ein spezielles Angebot, das jungen Menschen bis zu 25 Jahren dabei hilft, finanzielle Herausforderungen zu bewältigen.
Zielgruppenspezifische Ansätze in der Praxis
Erfolgreiche Jugendschuldnerberatung unterscheidet sich in mehreren wesentlichen Punkten von der klassischen Beratung:
Präventionsorientierung statt Krisenintervention: Während traditionelle Schuldnerberatung oft erst tätig wird, wenn die Überschuldung bereits eingetreten ist, setzen Jugendangebote früher an. Mit ersten präventiven Maßnahmen durch Pädagog: innen in der Jugendhilfe können Schuldnerkarrieren frühzeitig verhindert werden. Hierzu sei gesagt, dass sich die Anzahl der Schuldnerinnen vor dem 20. Lebensjahr mehr als versiebenfacht, wenn diese Altersgrenze überschritten ist.
Lebensweltorientierte Themen: Statt allgemeiner Haushaltsplanung stehen jugendspezifische Fallen im Mittelpunkt – von Handyverträgen über "Buy now, pay later"-Angebote bis hin zu Streaming-Abonnements und sozialen Netzwerken als Konsumtreiber.
Flexible Beratungsformate: Neben klassischen Terminen bieten spezialisierte Einrichtungen auch Sprechstunden ohne Voranmeldung an.
Die digitale Komponente: Online-Beratung als Türöffner
Ein entscheidender Erfolgsfaktor der Jugendschuldnerberatung liegt in der Integration digitaler Beratungskanäle. Viele junge Menschen haben Schulden. Du bist nicht allein. Wenn Du Fragen hast zu Deiner Situation, Du Hilfe brauchst mit Briefen, Rechnungen und Mahnungen, lass Dich von unseren Fachleuten online beraten – bevor Dir alles über den Kopf wächst oder Du nicht mehr weiter weißt.
Vorteile der Online-Beratung für junge Zielgruppen
Die digitale Beratung senkt Hemmschwellen auf mehreren Ebenen:
Anonymität als Schutzraum: Gerade bei schambesetzten Themen wie Geldproblemen ermöglicht die Online-Beratung einen ersten Kontakt, ohne sich persönlich "outen" zu müssen.
Zeitliche Flexibilität: Die Suche nach kurzfristigen und schnellen Lösungen bietet besonders jungen Menschen, die meist erst spät eine Beratungsstelle aufsuchen, ein lebenswelt- und bedürfnisorientiertes Beratungsangebot.
Niedrigschwelliger Zugang: Statt terminlicher Vorplanungen können Fragen spontan gestellt werden, wenn sie akut werden – etwa wenn eine Mahnung eintrifft oder ein Vertrag gekündigt werden soll.
Multimediale Unterstützung: Online-Formate ermöglichen es, Dokumente direkt zu teilen, Screenshots von problematischen Apps oder Verträgen zu besprechen und Haushaltsrechnungen gemeinsam zu durchleuchten.
Erfolgsfaktoren einer modernen Jugendschuldnerberatung
Was macht den Unterschied zwischen erfolgreichen und weniger wirksamen Ansätzen in der Jugendschuldnerberatung aus? Aus der Praxis lassen sich mehrere zentrale Erfolgsfaktoren ableiten:
1. Frühe Intervention und präventive Ansätze
Schuldnerkarrieren beginnen früh und Prävention ist wichtig. Erfolgreiche Beratungsstellen arbeiten daher eng mit Schulen, Jugendzentren und anderen Einrichtungen zusammen, um bereits vor dem Entstehen von Schulden Aufklärungs- und Präventionsarbeit zu leisten.
2. Ganzheitlicher Beratungsansatz
Um wieder schuldenfrei zu werden, brauchen die Jugendlichen in der Regel Hilfe. Sie müssen lernen, mit Geld umzugehen, einen Haushaltsplan zu führen, das eigene Konsumverhalten zu reflektieren und zu verändern. Wenn die Schulden bereits hoch sind, brauchen die Jugendlichen auch Hilfe bei der konkreten Schuldenregulierung.
3. Verständnis für die digitale Lebenswelt
Moderne Jugendschuldnerberatung kennt und versteht die digitalen Fallen, in die junge Menschen geraten können – von In-App-Käufen über Influencer-Marketing bis hin zu komplexen Finanzierungs-Apps.
4. Interdisziplinäre Vernetzung
Erfolgreiche Ansätze kombinieren Schuldnerberatung mit sozialpädagogischen Elementen und beziehen bei Bedarf andere Fachdienste ein – etwa bei Problemen mit Sucht, Familie oder Ausbildung.
5. Niedrigschwellige Zugangswege
Zunächst ist es für die Entscheidung, eine Schuldnerberatung aufzusuchen, nicht wichtig, wie hoch die Schuldsumme ist. Es muss nicht immer schon eine Überschuldung erkannt worden sein, um sich an eine Schuldnerberatung zu wenden. Es kann auch schon sinnvoll sein, eine Beratungsstelle aufzusuchen, wenn man feststellt, dass am Ende des Monats kein Geld mehr da ist.
Herausforderungen und Lösungsansätze
Trotz der erkannten Notwendigkeit stehen Jugendschuldnerberatungsstellen vor spezifischen Herausforderungen:
Begrenzte Ressourcen für Spezialisierung
Viele klassische Schuldnerberatungsstellen haben bereits mit Wartelisten zu kämpfen. Die Entwicklung zusätzlicher, zielgruppenspezifischer Angebote erfordert jedoch spezielle Ressourcen und Kompetenzen.
Schwieriger Zugang zur Zielgruppe
Während ältere Überschuldete oft von selbst den Weg zu Beratungsstellen finden, müssen junge Menschen häufig erst über andere Kanäle erreicht werden – über Schulen, Jobcenter oder sozialpädagogische Einrichtungen.
Komplexe rechtliche Rahmenbedingungen
Bei minderjährigen Ratsuchenden kommen zusätzliche rechtliche Aspekte hinzu, etwa die Frage der Geschäftsfähigkeit oder der Einbeziehung der Eltern.
Nachhaltige Finanzierung
Jugendschuldnerberatung ist oft projekt- oder sonderfinanziert, was eine kontinuierliche und planbare Beratungsarbeit erschwert.
Ausblick: Jugendschuldnerberatung als Standard etablieren
Die Entwicklungen zeigen: Jugendschuldnerberatung ist kein Nice-to-have, sondern eine notwendige Ergänzung der Beratungslandschaft. Dennoch steht ihre flächendeckende Etablierung noch aus.
Notwendige Entwicklungsschritte
Für eine zukunftsfähige Jugendschuldnerberatung braucht es:
Systematische Ausweitung der Angebote: Noch immer gibt es viele Regionen ohne spezielle Jugendangebote. Hier gilt es, bestehende Beratungsstellen zu qualifizieren und neue Konzepte zu entwickeln.
Professionalisierung der digitalen Angebote: Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass Online-Beratung funktioniert. Jetzt gilt es, diese Erfahrungen zu systematisieren und weiterzuentwickeln.
Verstärkte Präventionsarbeit: Statt nur auf bestehende Schuldenprobleme zu reagieren, sollte noch stärker in präventive Ansätze investiert werden.
Strukturelle Finanzierung: Jugendschuldnerberatung braucht eine verlässliche, strukturelle Finanzierung statt projektbezogener Förderung.
Fachliche Weiterentwicklung: Die Qualifizierung von Beratungsfachkräften für die spezifischen Bedarfe junger Menschen muss ausgebaut werden.
Für Tim aus unserem Eingangsszenario bedeutete der Gang zur Jugendschuldnerberatung einen Wendepunkt. Durch die kombinierten Online- und Präsenzangebote konnte er nicht nur seine akuten Schuldenprobleme angehen, sondern auch grundlegende Kompetenzen im Umgang mit Geld und Verträgen entwickeln. Sechs Monate später ist er nicht nur schuldenfrei, sondern auch finanziell mündiger geworden.
Seine Geschichte zeigt: Mit den richtigen Beratungsansätzen lassen sich auch in jungen Jahren entstandene Schuldenprobleme nicht nur lösen, sondern können zu einem Lernprozess werden, der langfristig vor erneuten finanziellen Schwierigkeiten schützt.
Die Investition in spezialisierte Jugendschuldnerberatung ist damit nicht nur eine Hilfe für die Betroffenen, sondern auch ein Beitrag zur Prävention chronischer Überschuldung – eine Win-win-Situation für alle Beteiligten.
Sie arbeiten in einer Beratungseinrichtung und möchten Ihr Angebot für junge Menschen ausbauen? Wir unterstützen Sie gerne beim Aufbau altersgerechter, digitaler Beratungsformate, die den spezifischen Bedarfen junger Ratsuchender gerecht werden. Kontaktieren Sie uns für einen unverbindlichen Erfahrungsaustausch.